Das Messer erhob in Form des Faustkeils den Homo Sapiens erstmalig über alle anderen Säugetiere. Bis heute ist es eines der wichtigsten, weitverbreitetsten und universellsten Werkzeuge. Doch während für unseren Alltag meistens hochindustriell gefertigte Klingen verwendet werden, üben sich viele Custom-Messerschmieden in klassischeren Methoden. Was diese Hobbyisten und Vollprofis anfertigen, ist eine wundervolle technische und materialwissenschaftliche Verknüpfung von Vor-Vorgestern und heute – und jede Klinge ist nicht nur einzigartig, sondern ein echtes Kunstwerk.
Wer sich ein wirklich gutes Messer für die Küche, die Hosentasche oder die Nutzung in Werkstatt, Garten oder Revier kaufen möchte, der kann bedenkenlos eines nehmen, das aus industrieller Fertigung stammt.
Das besteht mit gewisser Wahrscheinlichkeit aus einem Stahl der hochbeliebten 440er Serie – ein härtbarer, rostträger Edelstahl und somit ein ganz grundsätzlich hochwertiges, reines und schnitthaltiges Material, das sich überdies relativ leicht nachschärfen lässt.
Die Klinge wurde maschinell, mitunter gar automatisiert, im Gesenk geschmiedet, ist perfekt geformt, erfuhr eine nicht minder industrialisierte Härtung und Wärmebehandlung. Ein Messer, das problemlos für mehrere Menschenleben gut ist und dennoch bestenfalls niedrige dreistellige Preise aufruft – von zahlreichen möglichen Formgebungen, Griffgestaltungen und -materialien völlig abgesehen.
An diesem Punkt stellt sich rational Denkenden die Frage, warum jemand wohl selbst ein Messer anfertigt oder einen Custom-Messermacher beauftragt. Sicherlich eine berechtigte Frage, zumal selbst solche Personen nicht zwingend zu exotischen Legierungen greifen. Gut möglich gar, dass das handgefertigte Messer aus demselben 440er Stahl (oder einer ähnlich beliebten Alternative) besteht wie das Industriemesser.
Die Antwort lässt sich definitiv nicht ohne Subjektivität geben:
Dies alles paart sich beim Custom-Messerschmieden mit der schieren Lust, auf beinahe dieselbe Weise zu arbeiten, auf die bereits Schmieden zur Zeitenwende agierten.
Auf rationale Weise lässt es sich kaum begründen, warum ein Koch, Jäger, Normalverbraucher oder Sammler zu einer so kostspieligen, wenigstens aber aufwendigen Vorgehensweise greifen sollte. Das muss es aber auch nicht. Custom-Messer sind vergleichbar mit Craft-Bieren, Kleinstserienfahrzeugen, aber ebenso mit in Eigenregie gezimmerten Möbeln oder selbstgenähten Kleidern: Sie sind etwas Einzigartiges, Besonderes in einer Welt, in der nicht jeder dem Reiz industriell perfekter und zudem günstiger Massenprodukte erliegt.
Custom-Messermacher gehören zu demselben Menschenschlag, der einzigartige Schränke anfertigt, statt ins Möbelhaus zu gehen. Ein Menschentypus, der lieber einen Maßanzug schneidert. Und ihre (reichhaltige) Kundenschar entspricht diesem Denken wie ein Puzzleteil dem anderen.
Doch wo fängt heute jemand an, der ein eigenes Messer schmieden möchte? Wahrscheinlich beim Durchblättern eines Stahlkataloges. Gut 5.000 Stahlsorten gibt es, immerhin rund 3.500 gehören zu den gängigeren Sorten – viele davon sind messertauglich.
Die Arbeit beginnt damit, einen Stahl aus den wichtigsten Kategorien zu finden:
Hieraus kommen verschiedenste Stähle infrage. Keine lapidare Detailfrage. Mit der exakten Stahlsorte gehen so wichtige Positionen wie Formbarkeit, möglicher Härtegradspanne, Schnitthaltigkeit, Schärfbarkeit und nicht zuletzt die Optik einher – allein zwischen Anhängern von Klingen aus rostträgen und (leicht rostenden) Kohlenstoffstählen werden leidenschaftliche Debatten geführt.
Für einen Stahl muss sich der Messermacher entscheiden. Doch wo die Altvorderen kaum Auswahl hatten und oftmals zudem die Stahlherstellung selbst übernehmen mussten, haben es neuzeitliche Custom-Messerschmieden ungleich einfacher: Sie finden Streifen von passend (und wiederholgenau) legierten Stählen bei darauf spezialisierten Anbietern.
Liegt ein solcher rechteckiger Rohling auf seiner Werkbank, fertigt der Messermacher eine 1:1-Skizze der Klinge samt Erl an – das ist der Teil, der in den Griff hineinragt.
Wir gehen für diesen Text von herkömmlichen Messern aus, keinen aus Damaszener- oder anderen mehrlagigen Stählen, die noch deutlich aufwendiger zu fertigen sind.
Wie bei einem solchen Messer die eigentliche Formgebung beginnt, hängt davon ab, welchen Vorfertigungsgrad der Rohling aufweist. Hat er bereits eine Dicke, die dicht an derjenigen des fertigen Klingenrückens (oder einer anderen dicksten Stelle) liegt, und wurde er bereits vom Hersteller vorgeschmiedet, kann der Messermacher sofort zur Tat schreiten.
In dem Fall wird er seine Skizze auf den Rohling kleben und dann die grobe Form mit Bandsäge, Winkelschleifer und Feile herausarbeiten. Typischerweise wird er zudem bereits den Spiegel anfertigen – eine Arbeit, die Präzision erfordert, damit diese sogenannte Primärfase beidseitig einen gleichartigen Winkel aufweist. Andernfalls liegen später Schneide und Mitte des Klingenrückens nicht in einer Linie – wenngleich es einseitig geschliffene Klingen gibt, bei denen genau dies gewünscht ist.
Deutlich schweißtreibender haben es Custom-Messerschmiede, die den gesamten Weg gehen möchten. Sie müssen nun eine kohle- oder gasbetriebene Schmiedeglut schüren. Dorthinein kommt der Stahl, bis der Schmied anhand der Farbe des glühenden Klotzes die richtige Temperatur feststellt.
Dieses leuchtende Stahlstück wird nun auf einem Amboss so lange mit dem Hammer in Form geschlagen, bis es eine annähernd korrekte Dicke hat. Routinierte Schmieden werden überdies schon Teile der Formgebung übernehmen. Durch das Hämmern wird der Faserverlauf im Stahl verdichtet, es findet also eine qualitative (und vor allem durch den Schmied kontrollierbare) Optimierung des fertigen Messers statt – unverzichtbar, falls der Rohling nicht vorgeschmiedet wurde.
Danach wird der Stahl in der sterbenden Schmiedeglut über Nacht abkühlen gelassen. Umso weicher ist er danach und desto einfacher die Weiterverarbeitung.
Selbst ein von einem erfahrenen Messermacher geschmiedeter Rohling ist weit davon entfernt, mit ein paar Handgriffen zu einem fertigen Messer gemacht werden zu können. Bei ausgeschmiedeten Klingen wird nun erneut mit diversen spanabhebenden Techniken die Oberfläche bearbeitet.
Zudem wird die gesamte Oberfläche mit verschiedenen Körnungsgraden geglättet. Bis auf die extrem stumpfe Schneide sieht das Messer jetzt gebrauchsfertig aus – ist es aber nicht.
Egal aus welchem Stahl das werdende Messer besteht, jetzt ist es noch so weich, dass es sich wieder schärfen ließe noch diese Schärfe halten könnte – die Schneide würde einfach umknicken.
Nun beginnt die große Kunst, das Messer durch zwei gezielte Wärmebehandlungen in metallurgischer Hinsicht fertigzustellen:
Der exakte Härtegrad lässt sich selbst innerhalb einer Legierung durch Anlasstemperatur und -dauer variieren. Zwar existieren mehrere Härteprüfverfahren und -werte, bei Messern wird jedoch praktisch ausschließlich das nach Rockwell (PDF) genutzt. Ein typisches Gebrauchsmesser kommt auf Werte zwischen 52 und zirka 58 HRC. Bei Kohlenstoffstählen können es bis zu 62 sein.
Das Messer ist jetzt beinahe fertig. Allerdings hat sich beim Härten Zunder auf der Oberfläche gebildet. Je nach gewünschtem Finish wird dieser weggeschliffen und der Stahl poliert. Der Messerschmied könnte jetzt auch mit Säuren arbeiten oder die Klingenoberfläche durch Glasperlenstrahlen und andere Techniken verändern.
Ist das erledigt, werden, falls vorgesehen, die Griffschalen befestigt, in ihre endgültige Form gebracht und ebenfalls mit einem Finish versehen. Der finale Schritt besteht darin, der Klinge mit passenden Steinen eine Gebrauchsschärfe zu verpassen – diese ist selbst bei einem Alltagsmesser zum Rasieren ausreichend.
Denn eines wissen sowohl der Custom-Messerschmied als auch der Kunde, der dieses Kunstwerk jetzt überreicht bekommt: Mit einem stumpfen Messer ist die Gefahr, sich zu schneiden, deutlich größer als bei einer scharfen Klinge.
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